Gruß von oben: Wieso Südkorea seine Hochhäuser liebt

Mehr als elf Millionen Haushalte in Südkorea leben in Hochhauswohnungen - den "Appats". Ihre Anziehungskraft hat viel mit dem südkoreanischen Wirtschaftswunder zu tun - und mit Gemütlichkeit.
Beim ersten Besuch in Korea erschrickt der deutsche Kleinstädter. Wer vom Flughafen Incheon mit dem Auto in die Millionenstadt einfährt, den grüßen am Abend die Lichter der Hochhäuser. Zu Dutzenden stehen die Türme am Ende der kilometerlangen Brücke, die von der künstlich geschaffenen Insel führt, als Pfähle ragen sie aus der flachen Küstenlandschaft. Keine Bürohäuser, wie bei der Frankfurter Skyline, sondern Tausende Wohnungen. Kühl wirken die Gebäude aus der Ferne, grau.
Egal ob Stadt oder Land: Hochhäuser sprießen überall
Die Koreanerinnen und Koreaner lieben ihre Hochhäuser trotzdem. Egal ob am Hangang, der Fluss, der Seoul in zwei teilt, oder in den Bergdörfern der nordöstlichen Provinz Gangwon-do. Verstreut stehen die Hochhäuser, ausgerichtet in seltsamen Winkeln, als wäre ihre Lage erwürfelt und nicht gewählt.
Bei einem Supermarktbesuch auf dem Land drängt sich einmal ein Makler auf, der seinen Stand vor dem Großhandel aufgebaut hat. Es ist Freitagabend, das Wochenende wartet, und er will Werbung für ein mehrstöckiges Wohnprojekt machen, dem noch die Mieter fehlen. Sogar hier, wo Platz genug wäre für traditionelle, eingeschossige Häuser, streben die Menschen nach der Höhe. Nach dem Gefühl, dass ihnen nur das Hochhaus gibt.
Kein Wunder: Das „Appat“, die Hochhauswohnung, ist Zeichen ihres Aufstiegs. Nichts symbolisiert das südkoreanische Wachstum besser als der Boom der Mehrgeschossigkeit. Wie die NZZ beschreibt, begegneten die Menschen dem von der Militärdiktatur begrüßten Hochhausbau in den 60er-Jahren skeptisch; bedeutete er doch den Abschied von eigenen Gärten und Innenhöfen.
Spätestens ab den 70ern, wo einige Landwirte durch Grundstücksverkäufe an die Immobilienfirmen zu viel Geld gekommen waren, explodierte demnach ihre Beliebtheit. Die Hochhäuser stellten wohl auch die effizienteste Möglichkeit dar, dem Bevölkerungsanstieg in Südkorea zu begegnen. Im Vergleich zum Jahr 1953, dem Ende des Koreakriegs, leben heute 30 Millionen mehr Menschen im Land; die Zahl hat sich mehr als verdoppelt.
Südkoreas Hochhäuser: außen rau, innen herzlich
Vergangenes Jahr wohnten dem Portal Statista zufolge jedenfalls über elf Millionen koreanische Haushalte in „Appats“, die den größten Teil des Wohnbestands in Südkorea ausmachen. Und wer einmal in einem solchen „Appat“ steht, spürt den Charme: Was äußerlich verwundern mag, strahlt im Inneren das Gegenteil des Biedermanns deutscher Reihenhäuser aus.
Das großzügige Wohnzimmer, dank Panoramafenster lichtdurchflutet, geht über in die offene Küche. Es verbindet den Wohnbereich der Eltern mit dem der Kinder, oft ausgestattet mit separaten Bädern. Und eine Bodenheizung wärmt die Füße. Das „Appat“ ist Ruhepol und Rückzugsort im stressigen südkoreanischen Alltag.
Die gezeichnete Postkarte und das lila glitzernde Lesezeichen, die der Shop unter dem Aussichtsturm in Busan verkauft, schockieren jedenfalls kaum. Zu sehen sind drei Wohnblöcke im Cartoon-Stil, an einer zweispurigen Straße gelegen. Die Wolken schweben nicht am mondbeschienen Himmel. Sondern ruhen zu Füßen der Häuser – das Paradies am eigenen Wohnblock. Die Karten verkörpern den Geist von Südkoreas "Appats" und ihren Menschen. Sie sagen: So sind wir. Und so leben wir. (von Julius)


Hauptsache hoch: Im Außenbezirk von Incheon (links) und im Hafen von Busan prägen die Wohntürme das Stadtbild.