Bergab an Südkoreas Ostsee

Bergab an Südkoreas Ostsee
Im traditionellen Farbschema Ogangsaek leuchten die Lampions am Haedong Yonggungsa, einem buddhistischen Tempel im südkoreanischen Busan.

Spiritualität und Kommerz sind hier Nachbarn: An Koreas Südküste führt ein Trampelpfad vom Buddha-Tempel zur japanischen Shopping-Mall, wo Eltern ihre Kinder im Skateboard-Paradies deponieren. Und unterwegs wartet ein gigantischer Hotelturm, dem bald der Seeblick gestohlen werden könnte.

Busan - Eben standen wir noch unter bunten Lampions im Haedong Yonggungsa, einem Tempel bei Busan. Mit Blick aufs Meer schlürfen Besucher stundenlang gekochten Heil-Tee, im dunklen Gebräu schwimmen Kräuter aus den umliegenden Bergen. Die Menschen können einen Quadratmeter heiliges Gestein kaufen, auf dem sich die Wellen unterhalb des Tempels brechen. Oder zum Geburtstag eine Gebetszeremonie mit einem buddhistischen Mönch buchen. Zwei Mönche murmeln und summen im holzvertäfelten Gebetsraum, Omas knien dahinter.

Jetzt verlassen wir das Kloster – und damit auch den spirituellen Höhepunkt des Tages. Der Abstieg vom Tempelberg beginnt auf einem Trampelpfad. Die Route ist menschenleer, grün und braun wuchert das Gestrüpp. Hinter japanischen Kamelien versteckt sich die Kontur eines Holzhauses. In blassem Rot lugen die Säulen hinter den Pflanzen hervor.

Alfred, hast du dir das ausgedacht? Wie in einem Hitchcock-Thriller kreischen die Vögel im Baum, als wir uns dem verlassenen Haus nähern.

Ein bisschen Hitchcock in Busan: Tritt man näher, kreischt ein Vogel-Geschwader in der Baumkrone. Wie um zu verhindern, dass der Geist des Hauses gestört wird. Wird er an diesem Tag auch nicht: Die Türen über der Steintreppe sind abgeschlossen. Trotz einsetzendem Verfall erinnern Verzierungen und Baustil an den Tempel, den wir gerade verlassen haben. Ein Betonmischer und ein geparktes Auto verraten: Hier wird gearbeitet. Entsteht vielleicht ein Buddha-Retreat für zahlungskräftige Ausländer?

Die Besitzer des Hauses wären jedenfalls nicht die einzigen, die Menschen locken wollen. Ein paar Meter abwärts liegt die Küste des Japanischen Meeres, oder, wie die Koreaner lieber sagen: das Ostmeer. Ein Mann steht neben seinem Motorroller, zieht an seiner E-Zigarette und schaut in die Bucht. Auf einem Steinhügel erkennt man Angler.

Doch die maritime Kulisse scheint bedroht. Gleich neben dem Weg versperren Zäune den Zugang zu einer gewaltigen Baustelle. „East Bay Hotel und Resort“, steht auf einer blauen Tafel. Der angrenzende Sandstrand beheimatet schon den Sockel für eine weiße Bühne, Entertainment für All-Inclusive-Touris am Stadtrand der Hafenmetropole.

Am Strand, fern von Busans Stadtzentrum gelegen, entsteht ein Resort für Touristen. Das Haus könnte einem konkurrierenden Hotel den Meeresblick versperren.

Hinter einer Kurve beginnt die Zivilisation: ein Gewerbegebiet. Ladengeschäfte stehen leer, die Fenster abgeklebt. Ein Hotelturm ragt in den Himmel, ausgerichtet gen See. Bis auf einen Straßenfeger kein Mensch zu sehen. Wer will hier Urlaub machen? Zumindest ein paar ostasiatische Gäste, die gerade aus dem Foyer treten. Neben der Rezeption gibt es ein Bücherregal mit koreanischer Literatur, in einem ausgeleuchtetem Schränkchen liegen Romane zur Desinfektion.

Mit dem Aufzug surren wir hoch in den 24. Stock. Ein Pool wartet unter dem Dach des Hotels, und ein Restaurant, wo – so verrät es die Speisekarte – Menüs für 80 000 koreanische Won verspeist werden können. Ein Mitarbeiter mit Mundschutz richtet sich auf, zu tun hat er an diesem Frühlingsmorgen gar nichts. Aus dem Panorama-Fenster betrachtet er die Baustelle des geplanten East Bay Resorts. Wie eine Bedrohung liegt das Areal da. Hat der Konkurrent erstmal fertig gebaut, dann pachtet seine neue Unterkunft den Seeblick, und klaut die Aussicht des Hotelturms mit dem Dachschwimmbad – düstere Perspektiven.

Schnell weg, in Richtung Lotte Mall, betrieben von einem japanischen Konzern, dem in Südkorea auch Kaufhäuser gehören, Freizeitparks (Lotte World) oder eine Burger-Kette (Lotteria). Beim Betreten riecht das Kaufhaus nach frischer Farbe. Alles wirkt jetzt dystopisch: Bepinselte Porzellanteller für hunderte Euro das Stück, oder Staubsauger für über 1000 liegen in der Haushaltswarenabteilung aus, die eigentlich eine Aneinanderreihung von Edelboutiquen ist.

Halfpipe statt Bälle-Paradies: In der Lotte Mall in Busans Süden können shoppenden Eltern den Nachwuchs in einem Skatepark abgeben.

Mittags unter der Woche gibt es aber keine Kunden, die kaufen wollen. Stattdessen hockt das Personal am designten Beratungstisch, die Gesichter starren auf Handybildschirme. Eine Beraterin freut sich, einen graublauen Sessel mit Smartphone-Halterung präsentieren zu dürfen, der elektrisch ausgefahren werden kann.

Hinter einer Glastür rollen zwei Kinder mit Helm auf Skateboards über eine hölzerne Halfpipe. Bretter in einer Plastikhülle hängen an der Beton-Wand. In einem Kühlschrank lagern Softdrinks zur Stärkung – nicht Bälle-Paradies, sondern betreutes Skaten in der Shopping-Mall. Einen Raum weiter startet eine Lego-Ausstellung. Ein Künstler hat nahezu lebensgroße Tiger und andere Wildtiere aus Tausenden Bausteinen zusammengesteckt, um die Kleinsten zu unterhalten. Der spirituelle Abstieg vom Bergtempel ins Tal des Kommerz: In der Lotte Mall ist er uns endgültig geglückt. (von Julius)